Fritz Pölking  

40/80, der Fujichrome-Velvia Geheimtip

Unter den Diafilmen nimmt der Fujichrome Velvia sicher eine Sonderstellung ein. Er ist der Film von dem man sagen kann, er gibt die Natur 'Schöner wieder als das Leben'. Die Farben sind intensiver und leuchtender, das Grün ist giftiger und die Tonwertbalance eher kräftig als normal.

Wenn man ihn dann wie angegeben als 50 ISO-Film belichtet, kommt man schnell an den Rand der Unterbelichtung. Daher wird er in der ganzen Welt von (fast) allen Naturfotografen die ich kenne, wie 40 ISO belichtet.

Er ist etwas umstritten, manche finden seine Farben übertrieben, seine Tonwertwiedergabe zu hart und sein Grün nur schwer erträglich. Aber: die Kunden lieben ihn. John Shaw hat etwa eine Zeitlang nach Möglichkeit die Motive mit zwei Filmen fotografiert - mit einem 'normalen' Diafilm und mit Velvia, um dann anschließend bei den Sendungen an seine Agenturen und Redaktionen beide Dias anzubieten. Fast immer wurde das Velvia-Dia genommen.

Seit einiger Zeit geistert nun das Gerücht durch die Naturfotografenszene, daß einige Kollegen noch einen Schritt weiter gehen, und den Velvia wie 80 ISO belichten würden, um ihn dann mit einer E-6 Sonderentwicklung eine Stufen puschen d.h. überentwickeln zu lassen. Aber: 'Nichts genaues wußte man nicht'.

Nun gibt es ja einige Standarderkenntnisse zu Pusch-Entwicklungen von Diafilmen. Erstens verstärken sie eine Farbtendenz des Filmes oder des Motives. Wenn man etwa ganz früh am Morgen fotografiert und das Dia dadurch schon einen leichten Blaustich hat, dann wird es bei der Puschentwicklung einen kräftigen haben. Auch wird durch die Puschentwicklung die Grauwertbalance insoweit verschoben, daß die Ergebnisse kräftiger werden, also die Farben tiefer und nicht so fein nuanciert wie bei einer normalen Entwicklung, in der die Filmgradation nicht aufgesteilt wird.

Wegen dieser bekannten Nachteile einer forcierten Entwicklung konnte ich mir bisher nicht vorstellen, daß jemand diese konsequent und fast ausschließlich anwenden würde.

Arthur Morris hat es aber getan und die Ergebnisse dieser Arbeitsweise kann man jetzt sehen in seiner Broschüre 'Bird Photography - Pure and Simple', erschienen 1997 bei The Tern Company, New York, ISBN 1-890309-55-9.

Hier haben wir sehr schön die Gelegenheit, an vielen Bildbeispielen zu sehen und zu kontrollieren, ob diese Vorgehensweise sinnvoll ist. Generell gesagt ist der Eindruck etwas zwiespältig. Wie zu erwarten sind die Farben extrem kräftig geworden, die Gradation wesentlich steiler, also vor allem an den beiden Enden der Skala ist nichts mehr da außer einem reinen Weiß und einem reinen Schwarz, obwohl in der Wirklichkeit dort sicher noch Detailzeichnung vorhanden war. Auf den ersten Blick hin wirken die Bilder unglaublich brillant und farbenfreudig - manchen Motiven bekommt es, manchen weniger.

Ein Bild wie das der Schneegänse im Morgenrot auf Seite 12 gewinnt durch die extreme Farbsättigung und Farbsteigerung an Dramatik, wogegen der landende Braunpelikan auf Seite 10 alle Feinheiten der Zeichnung verliert.

Manche Motive vertragen den kräftigen Velvia plus Puschentwicklung so ausgezeichnet, das man es nicht einmal bemerkt, wie etwa bei dem gähnenden Pelikan auf Seite 54. Bei anderen Motiven sieht man den Einfluß des 'harten' Velvia sehr deutlich, wie etwa beim wunderschönen Limikolenbild auf Seite 50. Hier ist im weißen Gefieder des Körpers und auch der Schwingen absolut keine Zeichnung mehr zu erkennen, daß Ganze ist nur noch ein 'weißes Loch'. Auch der Baumstamm zeigt in den Schattenpartien keinerlei Zeichnung mehr, sondern ist völlig schwarz. Trotzdem wirkt das Bild großartig und gewinnt mit diese Härte durch Reduzierung des normalen Tonumfanges.

Ob man alle seine Bilder kompromisslos so hart und kontrastreich haben möchte, ist sicher Geschmacksache, aber auf jeden Fall hat man mit dieser Broschüre die Möglichkeit, sich in aller Ruhe die Vorteile und Grenzen des puschentwickelten Velvias anzusehen.

Ein Problem ist sicher noch erwähnenswert, und das ist die finanzielle Seite: Der Velvia kostet ungefähr doppelt so viel wie die anderen Diafilme und eine Sonderentwicklung kostet sicher auch das doppelte einer normalen E-6 Entwicklung. Für einen Profi, der vielleicht 500 bis 1000 Filme pro Jahr benötigt, sind das Mehrkosten von 5.000,- bis 10.000,- DM pro Jahr. Es ist also nicht nur vom ästhetischen, sondern auch vom finanziellen Standpunkt aus überlegenswert, ob diese Kombination eine Alternative zu Sensia/Provia oder Elite/Ektachrome ist.

1999041.jpg (13040 Byte)Das lesenswerte Heft von Arthur Morris 'Bird Photography - Pure and Simple' ist in Deutschland am einfachsten und billigsten über http://www.amazon.de zu bekommen für DM 16,59, oder Euro 8,32.

Eine 1998 erschiene 'Langversion' unter dem Titel 'The Art of Bird Photography' vom selben Autor gibt es bei http://www.amazon.de für DM 58,34 oder Euro 29,17.

Die Bilder in diesem sehr schönen und informativen Buch über Vogelfotografie sind von wesentlich besseren Lithos gedruckt als die in der Broschüre. Sie sind weicher, schärfer und auch meistens in den Farben besser.

So etwa die Schnee-Eule auf Seite 32 der Broschüre und Seite 81 im Buch. Im Buch ist die Wiedergabe hervorragend, wogegen die Schnee-Eule in der Broschüre schmuddelig und ausgefressen wirkt. Das Buch gibt übrigends an: Canon AE-1 mit 1/125 sek. und Bl. 11, wogegen die Broschüre zum gleichen Dia sagt: Canon T-90 mit 1/500 sek. und Bl. 5,6.

Auch hat etwa das großartige Limikolenbild im Buch auf Seite 130 noch Zeichnung im weißen Gefieder und im Stamm, wo beim gleichen Bild in der Broschüre auf Seite 50 nur noch reines Weiß und reines Schwarz zu sehen ist.

Ebenso der Greifvogel im Buch auf Seite 128 und in der Broschüre auf Seite 3: Im Buch ist die Wiedergabe nicht nur farblich besser, sonder auch wesentlich weicher. Man kann bei dieser Abbildung im Buch noch Einzelheiten erkennen, wo in der Broschüre in den Schattenpartien des Bildes schon reines Schwarz ist. Auch hier wieder zwei verschiedene Kameras: im Buch wurde das Bild mit der Canon A2 gemacht, in der Broschüre das gleiche Foto mit einer EOS 1N.

Dies alles kann bedeuten, daß ein Teil der Härte in den Bildern nicht auf den gepuschten Velvia zurückzuführen ist, sondern auf Lithoherstellung und Druck der Broschüre. Im Buch sehen die Ergebnisse dieser speziellen Kombination von `Film unterbelichten und überentwickeln' wesentlich besser aus als in der Broschüre, so daß man fast versucht ist, es Arthur Morris nachzumachen.

Auf der anderen Seite hatte mir der Kollege Willi Rolfes noch vor wenigen Wochen erzählt, daß er Libellen im Morgentau nicht mit Velvia fotografieren kann, sondern den Sensia oder Provia nehmen muß, weil der Velvia so hart ist, daß er den Kontrast nicht bewältigt bei diesem Motiv. Wenn aber schon der normalentwickelte Velvia so hart ist, wie ist dann erst der gepuschte?

Jetzt war ich - nach diesen beiden gegensätzlichen Informationen - so neugierig geworden, daß ich einen eigenen Feldversuch startete: Immer wenn es möglich war, fotografierte ich die Motive in den nächsten Wochen auf drei Filme: Sensia II, Velvia wie 40 ISO belichtet und normal entwickelt und Velvia wie 80 ISO belichtet und eine Stufe gepuscht entwickelt. Alle Motive auf den drei Filmen belichtete ich zusätzlich noch mit der Bracketingfunktion -0.3, +0.3 und 0.0, so daß ich jedes Motiv mit dem Sensia je einmal wie 80, 100 und 125 ISO belichtete, den Velvia wie 25, 40 und 50 ISO, und den gepuschten Velvia wie 64, 80 und 100 ISO. Wenn man dann die entwickelten Streifen der drei Filme zusammen auf das Leuchtpult legte, konnte man nicht nur sehen, wie unterschiedlich die Farbwiedergabe, die Schärfe und der Kontrast waren, man konnte dann auch sehen, bei welcher ISO-Zahl die Dichte übereinstimmte.

Das Ergebnis sah so aus:

Bild in groß Bild in groß

Amerikanische Schönbeere, Süd-Florida.
Nikon F5, 2,8/80-200 mm, Stativ.
Das linke, mit Sensia II aufgenommene Bild ist weicher im Kontrast und zarter in den Farben. Das mit gepuschtem Velvia fotografierte Bild rechts hat einen höheren Kontrast (man sieht es an den Blättern und im Hintergrund) und dadurch folgend kräftigere Farben, die aber hier - trotz Sonnenlicht - nicht unangenehm wirken.

Der Sensia-100 II ergab die besten Dias, wenn er wie 100 ISO - also mit Nennwert - belichtet wurde. Der Velvia bei 40 ISO und der um 1 Blendenstufe gepuschte Velvia bei 80 ISO. Mit 50 bzw. 100 ISO belichtet waren die Velvia-Dias regelmäßig etwas zu dunkel.

Im Kontrast waren die normal oder gepuscht entwickelten Velvia-Filme etwas harter oder kräftiger gegenüber dem deutlich weicheren Sensia. In den Farben war der Sensia ebenfalls weicher, bzw. der Velvia kräftiger oder brutaler, und der gepuschte noch deutlicher in dieser Richtung. Erfreulicherweise gab es keine Farbverschiebungen durch die Puschentwicklung. Rein technisch gesehen waren die Ergebnisse der Puschentwicklung erstaunlich gut. Die Dias waren zwar aufgesteilt in der Gradation - merkbar, aber auf keinen Fall störend -, die Farben waren noch etwas kräftiger und plakativer, als sie beim Velva ohnehin sind, und die Farbbalance blieb voll erhalten.

Sensia-100, Velvia oder Velvia gepuscht ist also letztlich nur eine ästhetische Frage. Wer normale Farben und normalen Kontrast liebt, ist mit Sensia-100 bestens bedient. Wer kräftige Farben und größeren Kontrast mag, der sollte zum Velvia greifen, und wer die Farben so plakativ wie möglich haben will, bei noch etwas gesteigertem Kontrast, der ist mit Velvia puschen sehr gut bedient.

Die Werbung auf jeden Fall will bunte Bilder - je bunter je besser. Unsere Sehgewohnheiten werden sicher - auch in der Naturfotografie - beeinflußt duch Pop-Fernsehsender und die Werbefotografie, und wir werden immer stärkeren, farblich 'brutaleren' Reizen ausgesetzt, und sind - vielleicht - auf dem Weg ins 'Bordell der grellen Bilder'.

Ob wir in der - beruflichen - Naturfotografie das mitmachen wollen oder müssen, wird die Zukunft zeigen.

Manche Bilder mit einem gepuschten Velvia aufgenommen, gefielen mir ganz ausgezeichnet, bei manchen hatte ich den Eindruck, es wären keine Naturaufnahmen, sondern Kirmesbilder aus Disney-World.

Auf jeden Fall ist es ratsam, einmal einen eigenen Versuch zu machen, Dias mit gepuschtem Velvia aufzunehmen; wobei man seine Eigenschaften kennenlernt, um ihn dann vielleicht für spezielle Motive einzusetzen, wo man größeren Kontrast und sehr plakative Farben haben will. Als Allroundfilm ist er vielleicht doch etwas zu übertrieben, zu laut, zu plakativ und zu grell für 'sensible Mitteleuropäer'.

last update: 29. Oktober 2001,